Schreibinspiration Kindheit und Jugend

Liebe LeserInnen, in diesem Artikel des Blogs geht es darum, aus dem Fundus 'Kindheit' und/oder Jugend zu schöpfen. Hierzu haben die TeilnehmerInnen meiner Kurse verschiedenen Materialien bekommen.

Vielleicht haben Sie ja - neben dem Lesen - auch Lust selbst dazu zu schreiben?

 

Viel Freude an beidem!

Ihre Cornelia

Schreiben zu Bildern, Spielen, Gedichten und  Romantiteln

 

dazu entstanden:

Erstberührungspunkt im Leben

Unlösbar verbunden

Beieinander geschnürt in unsichtbares Band

Wechselseitiger Zusammenhalt

Bedingungsloses Miteinander

Über Stolperpfade im Nieselregen

Arm in Arm bis es Zeit ist, zu gehen.

 

Familienbande mit nachlässiger Schleife

flüchtig verbunden

Ewiger Reigen aus Nähe und Distanz

Balanceakt auf fragilem Glas

Befremdliches Wir-Gefühl

Hoffnung zu oft von Enttäuschung genarrt

Am Ende ohne einander aufgebahrt.

 

© Caroline Lucht

 

 

Roller und Fahrrad

 

Die Fotos meiner Kriegskindheit auf dem Land vermitteln mir das - zeitgemäße - Bild eines Mädchens mit langen Zöpfen und kurzen Kleidern, das sehr oft zusammen mit anderen Kindern draußen zu sehen ist. Und meine Erinnerung signalisiert mir, dass dieses „Draußen“ mit zunehmendem Alter die nähere Umgebung umfasste, über den heimischen Gartenzaun hinaus. Am liebsten trieben wir uns bei jedem Wetter auf der Straße herum. Zu Kriegsbeginn gab es nur noch wenige, meist militärische Autos, die uns mit unseren eigenen rollenden Untersätzen - Fahrräder für die Großen, Dreiräder, Roller und Bollerwagen für die Kleinen - selten gefährdeten. Auf dieser Straße habe ich Rollschuhlaufen und Fahrradfahren gelernt, das Balancieren auf Stelzen und im Winter das „Glitschen“ auf immer längeren Bahnen.

Doch mein absoluter Traum blieb für längere Zeit ein Tretroller. Er gehörte dem jüngeren Freund Eike, der ihn von seinem großen Bruder geerbt hatte und mir großzügig gegen mein altes Dreirad überließ. Stundenlang konnte ich begeistert die Straße auf- und absausen. Als die Familie wegzog, war zu meinem bitteren Schmerz auch der geliebte Roller futsch.

Damals besaß durchaus nicht jedes Kind eigene Spielzeuge, wenn sie nicht, wie bei Eike, von älteren Geschwistern weitergegeben wurden. Die Beschaffung war mit den Kriegsjahren fast unmöglich geworden. Also war man aufs Teilen angewiesen, ohne großes Getue. Ein Fahrrad gehörte zum immer kostbareren, wohlgehüteten Besitz.

Und so lernte ich im Frühjahr 1943 als inzwischen Achtjährige das Radfahren auf dem Jugendrad meines Bruders Helmut, dem er - sechs Jahre älter als ich - inzwischen reichlich entwachsen war. Der Sattel musste natürlich ganz tief gestellt werden, und die Fahrradstange entsprach auch nicht eben mädchenhaften Gepflogenheiten, aber was machte das schon? An ein neues Rad war nicht zu denken.

Helmut erwies sich als erstaunlich geduldiger Lehrer, der bei meinen ersten Versuchen neben mir herrannte und den Sattel festhielt. Nach den üblichen wackeligen Anfängen und unvermeidlichen, mit großem Geschrei verbundenen Stürzen, die mehrfach im Zaun des wenig begeisterten Nachbarn endeten, konnte er lautstark verkünden: „Die blöde Ziege hat’s endlich kapiert - hurra!“ Ausnahmsweise überhörte ich vornehm eine solche Beleidigung und schwang mich wenig zimperlich, das rechte Bein hinten über’n Sattel, auf meinen „neuen“ fahrbaren Untersatz, um den Spielkameraden meine gerade erworbenen Fähigkeiten vorzuführen.

Ich besaß ein eigenes Fahrrad - einfach toll! Damit konnte ich meine Umgebung jetzt viel weitläufiger erkunden und dazu auch noch ein anderes Kind vorn auf der Stange oder hinten auf dem Gepäckträger mitnehmen. Fast platzte ich vor Stolz …

 

© Edith Lerch  

 

 

Kindheit.

 

Oh holde Kindheit, schöner Schein.

Ach, wie war mein Herz so rein,

bis die Bombenangriffe kamen

und mir meine Kindheit nahmen.

 

© Franz Köhler

 

 

noch immer

bluten

die Wunden

der verletzten Zeit

brennt das

Kainsmal

auf unserer Stirn

die Stimmen

der Fragenden

rufen sich heiser

kein Tag

ist vergangen

die Wahrheit

fleht

um Erbarmen

 

© Sabeth Bußmann

 

 

Eiscafe.

 

Es war eines dieser italienischen Eiscafes.

Kleine Sessel standen an polierten Rundtischen.

Ich hatte mit meiner Freundin Platz genommen.

Wir studierten die reichhaltige Eiskarte.

Dann nahm eine dunkelhaarige Bedienung die Bestellung entgegen.

Aus breiten Kelchgläsern löffelten wir den köstlichen Inhalt.

Leise, zärtliche, italienische Musik drang an unsere Ohren.

Meine Hand berührte die meiner Begleiterin.

Sie lächelte.

 

© Franz Köhler

 

 

 

Horaz und die Pointe

 

Von ihm wir wissen nun ganz präzise:

Pointen hält er nicht für wichtig.

Der Textinhalt, vielleicht eine Krise,

Soll’s aber sein, so klar wie richtig.

 

Jaja, Horaz, doch manchmal mildert

In ernsten Corona-Zeiten ein Witz,

Der auch komische Seiten bebildert,

Wie ein heiterer, erlösender Blitz.

 

So als ein Geschenk in edlem Papier

Mit Schleifen elegant umwunden

Schon diente das Hamster-Klopapier -

Wir lachen uns schief - und gesunden.

 

© Edith Lerch

 

 

Eine Definition von Schreibblockade

 

Die Vorratskammer der Ideen leergefegt wie die Stammkneipe morgens um fünf. Inhaltslose Nischen und Räume. Verirrte Gedanken und versprengte Worte ohne Zusammenhang.

Ungenutzte Schreibimpulse legen sich schlafen.

Werden sie sich morgen regen? Texte, Wortkreationen einfordern aus der Schatzkammer, die tief in mir verschüttet liegt? Habe den Zugangscode verloren.

Alte Geheimgänge überwuchert vom Gestrüpp negativer Gedanken.

Fahndung nach der rettenden Machete ausgelöst.

Hoffnung riecht nach Meer, nach Salz in der faden Lebenssuppe.

Nach Kreativität die, unbändigen Mustangs gleich, frei über die Prärie galoppieren darf.

 

© Caroline Lucht 

 

 

Himmelskörper

Die Erde ist ein Himmelskörper.
War einst öde und leer.
Im Laufe der Zeit änderte sich das.
Es entstand ein Gleichgewicht.

Große entstanden. Der Tyrannosaurus Rex.
Ein anderer Himmelskörper traf die Erde.
Der Tyrannosaurus Rex verschwand wieder.

Der Mensch entstand.
Ihm galt der Grundsatz: Seid fruchtbar und mehret Euch.

Der Mensch hielt sich für die Krone der Schöpfung,
verfügte über Selbstheilungskräfte und machte sich die Erde untertan.

Andere Tyrannen hielten sich für die Größten.
Aber wie bei allen Herrschern, die gegenüber ihren Untertanen keine Fürsorge walten lassen,
reichte es denen irgendwann.

Der Mensch strebte nach Tugenden -
Weisheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung, Glaube, Liebe und Hoffnung.
Der Stern von Bethlehem verbreitete Hoffnung.

Aber es waren zu viele, die sich nicht darum bemühten,
sondern immer gieriger und übergriffiger wurden.
Nicht nur Menschen wehrten sich gegen die Übergriffe.

Es dauerte lange, bis Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze und Viren entdeckt wurden.
Der Mensch entwickelte dagegen Antibiotika. Setzte sie maßlos ein.
Multiresistente Keime entstanden.

Es wurden immer mehr Menschen, immer weniger Gleichgewicht.
Die Selbstheilungskräfte reichten nicht mehr.

Die Erde war voll und trotzdem öde.
Galgenhumor führte zu Geschichten wie:
Sagt der eine Planet zum anderen: „Du siehst aber schlecht aus. Was hast Du denn?"
„Homo sapiens." - „Ach, hatte ich auch mal - das vergeht."

Und es stellte sich heraus: Der Mensch war gar nicht Herr der Welt.
War nicht die Krone der Schöpfung.

Herren der Welt waren in Wirklichkeit Krankheitserreger.
Corona, Salmonellen und Candida albicans.
Die Mikrobe der menschlichen Dummheit wurde nie gefunden.

Und so warten manche auf den nächsten Himmelskörper.

 

© Uli Kölling

 

 

Schneeflocken-Karneval

 

   Unten im Süden, wo das Meer tief und das Land weit entfernt ist, schwebt eine kleine Wolke am Himmel. Warm scheint die Sonne auf das wellenbewegte Meer. Immer mehr Wassertropfen erheben sich, steigen zu der kleinen Wolke hoch und werden von ihr wie von zahlreichen Brüdern und Schwestern freudig begrüßt. Immer größer wird die Wolke, sie steigt höher und höher. Schon erfasst sie ein starker Südwind, der sie vor sich hertreibt. Auf dem Weg nach Norden erzählt die Wolke ihren Kindern, was sie schon alles erlebt, welche Meere, Länder, Flüsse und Seen sie dabei kennengelernt hat:

  „Nicht mehr lange, und ihr werdet dies alles selber sehen. Wenn wir an unserem Ziel angekommen sind, dürft ihr euch wieder auf den Weg zur Erde machen, denn Pflanzen und Tiere warten schon auf euch. Habt aber keine Angst, keiner von euch wird verloren gehen; irgendwann werdet ihr alle über Quellen, Bäche und Flüsse zurück zum Meer gelangen.“

  Die Tropfen haben noch viele Fragen, und Mutter Wolke wird nicht müde zu erzählen, vor allem über Menschen, die in den Städten leben. Denn sie hat in ihrem langen Leben schon unzählige Tropfen gesammelt und über Städte und Länder regnen lassen.

  Bald sehen die Tropfen in der Ferne Land auftauchen. „Nur noch einen Tag, dann sind wir da“, sagt die Wolke und bemüht sich, eine schöne, rundliche Figur zu bekommen, um nicht so zerzaust auszusehen. Langsam schwebt sie über das Land und versucht sich zu orientieren, wo sie sich denn nun befinden. Als sie die hohen Berge vor sich sieht, ist sie sicher: „Dies sind die Alpen“. Je höher sie steigt, umso kälter wird es. Die Tropfen frieren zu Eis, aber das macht ihnen nichts aus, denn nun haben sie ja einen schützenden Panzer um sich.

  Nachdem sie die Berge überquert haben, schweben sie über einen großen See. Nun folgen sie einem Fluss nach Norden, bis sie an eine Stadt gelangen, in der eine Kirche mit zwei hohen Türmen steht. In den Straßen sehen sie Menschen, die seltsam aussehen, ganz anders als in den Städten, die sie bisher überflogen haben.

  Die Wolke lacht: „Da haben wir aber Glück, dass wir gerade jetzt hier ankommen. Ich habe das schon einige Male erlebt, dort unten feiern sie Karneval. Dabei verkleiden sich die Menschen, rufen „Alaaf“ und sehen so richtig lustig aus. Einige verkleiden sich als Prinz, Jungfrau und Bauer und nennen sich dann „Dreigestirn“ -  da hinten auf dem hohen Wagen könnt ihr sie sehen!“

  „Dürfen wir uns auch verkleiden?“, rufen die Tropfen wild durcheinander. „Warum nicht“, überlegt die Wolke. „Ich sage dem Wind, er solle nicht so stark blasen. Wenn ihr euch jetzt kräftig aufplustert, bekommt ihr alle ein schönes weißes Kostüm, jeder ein anderes. Dann könnt ihr ganz sacht auf die Erde hinunterschweben und euch unter die verkleideten Menschen mischen.“

  Nachdem sich alle verkleidet haben, will jeder die erste sein. Schon schweben Millionen Schneeflocken leise auf die Erde hinunter. Aber der Wind treibt die Flocken über die Stadt hinweg, weiter den Fluss abwärts. Nicht lange, und sie schweben auf eine Stadt zu, in der die Menschen auch verkleidet sind und Karneval feiern, aber sie rufen nicht „Alaaf“ sondern „Helau“. Hier lassen sich die Schneeflocken auf einer Wiese, nahe einem Riesenrad, nieder. Es sind so viele, dass sie den Boden hoch bedecken. Bald merken sie, wie sie hin-, her- und rundherum gerollt werden, sodass ihnen ganz schwindlig wird. Es sind kostümierte Kinder, die die Flocken zu drei dicken Kugeln rollen und sie aufeinander türmen. Dann kleiden sie die Schneekugeln in ein buntes Clowns-Kostüm und setzen der obersten eine grün-rote Zipfelmütze auf. Eine Möhre als Nase und Kohlestückchen als Augen und Mund vervollständigen das Kunstwerk. Die Schneeflocken fragen sich: „Was stellen wir denn nun dar, einen Prinzen, eine Jungfrau oder einen Bauern?“

  Die Kinder singen und tanzen um die Schneefigur herum und rufen immer wieder „Hoppeditz erwache!“ Von einem „Hoppeditz“ hat die Wolke ihnen aber nichts erzählt. Als die Kinder dann noch laut ankündigen: „Am Aschermittwoch wirst du verbrannt!“ fürchten sich die Schneeflocken und sind traurig, dass sie nicht in der schönen Stadt mit der doppeltürmigen Kirche gelandet sind. Sie wären auch viel lieber ein stolzes Schneeflocken–Dreigestirn gewesen, als so eine Narrenfigur.

  Vom Himmel schaut die Sonne auf den Schneeflocken-Hoppeditz hinunter; sie hat Mitleid mit ihm. Und die Flocken beginnen zu weinen, sie rinnen als dicke Tropfen auf die Wiese herab, wo sie sich in der Erde verstecken. Als die Kinder am nächsten Tag nach ihrem Hoppeditz sehen wollen, liegen an der Stelle nur noch eine Möhre und einige Stückchen Kohle, sowie das bunte Kostüm und die Zipfelmütze. Vom Hoppeditz ist nur noch eine kleine Pfütze übrig geblieben.

 

© Lothar Lax

 

 

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