Texte aus der 8. Coronawoche

Utopie und Lächeln

sind diesmal die Hauptthemen der Schreibimpulse. Auf die Idee dazu haben mich die vielen, auf mich einprasselnden, Verschwörungstheorien und wirklichkeitsfernen Ansichten gebracht. Und dabei das Lächeln nicht zu vergessen gehört für mich dazu.

Viel Freude beim Lesen und Kommentieren und halten Sie Ihren Geist wach und rege!

Ihre/eure Cornelia

Schreibimpulse 1 und 2: Angeregt durch verschiedene Artikel/Statements zu Corona - Schreib einen utopischen Text zu ‚Das Jahr 2280‘ oder schreib zu einem der Zitate. Das Thema kann natürlich auch viel weiter gefasst werden ...

 

Dazu Entstanden:

 Utopien sind oft nur vorzeitige Wahrheiten (A. de Lamartine)

 

Für Science-Fiction hab ich nie Talent gezeigt.

Mir fehlt es an der nötigen Fantasie.

Doch im Buch '1984' hat Orwell sich der Zukunft zugeneigt.

Das kann ich leider nicht - ich konnt es nie.

 

Er sprach schon damals von Menschen mit Problemen.

Eins Ausweg waren gewisse Drogen.

Alle hatten sie, keiner musste sich schämen.

Eingeworfen - schon fühlten sie sich auf hohen Wogen.

 

Der große Bruder hörte immer alles mit.

Er sah in sie wie durch wasserhelles Glas;

wusste genau, wie er alle hielt topfit.

 

Es gab kein Entrinnen und auch kein Verstecken.

Des Bruders Augen erblickten alles, was

sie taten, was sie sagten - restlos bekam er's mit.

 

©  Karolina Sinn

 

 

Virusverhör

 

Fragen:

Wann haben Sie sich angeschlichen

um ihre Spuren zu verwischen

Uns abgehört

und plötzlich verstört

Wann hat sie stattgefunden ihre Mutation

die uns zwingt zu Anpassung und Transformation

Wie haben sie unsere Schwächen ausspioniert

uns desorientiert

ihre Verwirrungsstrategie benutzt

uns in Chaos gestürzt

unsere Lebensqualität drastisch gekürzt

 

Antworten:

Ihr habt es mir leicht gemacht

Bewusstheit war ja abgeschafft

Es hat zeitlich gut gepasst

hab ich mir gedacht

Ich konnte mich lange genug tarnen

habt nicht zugehört denen die warnen

Ihr wart schon so lange nicht vorbereitet

ich war nur als Vision in eurem Nacken verbreitet

habt vernachlässigt eure eigene Natur

nur Wettbewerb gab eurem Leben Struktur

Ihr selbst so geschäftig

mit Ablenkungen beschäftigt

im Grunde euch selbst verseuchend

dabei Mitmenschlichkeit heuchelnd

Ich bin nicht die Stimme des Gewissens

bin nur Bewohner eures Rachens

Möchte dass ihr küssen vermisst

damit mein Wirken unendlich ist

 

© Petra Schröter

 

 

 

Viele Utopien bringen uns technisch voran und werfen uns menschlich zurück
(Michael Marie Jung)

 

Von der Utopie zur Dystopie

 

George Orwells Roman 1984 über die Zerstörung des Menschen durch eine perfekte Staatsmaschinerie ist längst zu einer nicht mehr erklärungsbedürftigen Metapher für totalitäre Verhältnisse geworden.

Veröffentlicht 1949 geschrieben von 1946-1948 schreibt Orwell in seiner Dystopie über ein negatives Zerrbild der zukünftigen Menschheit. Die Zukunft ist von einer Gesellschaft geprägt, die sich negativ entwickelt. Der Roman wird oft zitiert, wenn es darum geht, staatliche Überwachungsmaßnahmen kritisch zu kommentieren. Bis ins kleinste Staubkörnchen werden die Bürger durchdrungen bis der Protagonist Winston nach seiner Umerziehung

„2+2=5“  mit Staub auf den Tisch schreibt.

 

Nicht nur im Kampf gegen Corona setzt China auf Software-Programme, die massiv persönliche Daten sammeln. Jeder erhält einen eigenen Code. Um zur Arbeit zu fahren und den Bus zu besteigen, muss vor dem Einstieg dem Fahrer der Code auf dem Handy vorgezeigt werden. Leuchtet dieser grün auf, darf die Person einsteigen und mitfahren. Der sogenannte „Health-Code“ ist de facto Pflicht für jeden chinesischen Staatsbürger. Der Code ist gleichzeitig Eintrittskarte für Restaurants, Nahverkehr, Supermärkte etc.  All dies geschieht unter dem Deckmantel, das Virus einzudämmen. Die Einwohner werden mit einem Punktesystem belohnt. Es ist zu befürchten, dass die Regierung die Situation ausnutzt, um die Überwachung noch mehr auszuweiten. Lange vor der Corona-Pandemie wurde in einem Fernsehbericht dokumentiert wie weit die Überwachung in China schon vorangeschritten ist.  Auf riesigen Bildschirmen wurden die Bewohner überwacht. Es wurde sogar demonstriert,

wann die Bewohner die Toilettenspülung betätigten.  Ein System, dass

den Menschen 24 Std am Tag folgt, weiß ob jemand krank ist, was er denkt und fühlt.

 

In Südkorea ist das Land mit der „freiwilligen?“  Handydaten-Nutzung im Kampf gegen das Corona-Virus erfolgreich. Ist jemand wegen Krankheit in Quarantäne, wird er mehrmals am Tag angerufen, aufgefordert ein Selfie zu machen, welches mit dem Hintergrund auf dem Bild zum ersten Selfie zu Beginn der Quarantäne übereinstimmt. Kommt derjenige der Aufforderung nicht nach, bekommt er Besuch von der Polizei  und es drohen Geldbußen.

 

Heute 2020 leben wir in Deutschland in keinem diktatorischen Staat; sind jedoch auch weitgehend gläsern. Als Handynutzer mit den bestehenden Apps, der auf dem Handy installierten und sichtbaren Kamera, den Internetaktivitäten werden Rückschlüsse auf die Person und  das Kaufverhalten gezogen. Nun ist die Corona-App im Gespräch, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie von großem Nutzen wäre. Diese App ist sehr umstritten. Hauptgründe sind die Angst vor Überwachung und Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte. In diesem Zusammenhang kann es zu einer Pseudo-Sicherheit kommen, da auf einmal ganz viele Personen als Verdachtspersonen festgestellt werden.

 

Wie wird zukünftig mit der vorgesehenen Datenspeicherung der elektronischen Gesundheitskarte umgegangen? Es hätte fatale Folgen, wenn Unbefugte Einblick in die zukünftig gespeicherten Daten hätten.

Es bleibt abzuwarten wie auch diese Daten in der Zukunft definitiv geschützt werden.  

 

Ich bin dankbar, dass ich der BRD in einer Demokratie lebe, die ein Grundgesetz hat, dass als Bestes der Welt gilt. Es wird in hohen Maße versucht, den Datenschutz zu gewährleisten.

Jeder Einzelne, trotz Technologie und künstlicher Intelligenz, muss wachsam bleiben, um Machtmissbrauch zu unterbinden.

 

©Maria Boyn

 

 

Der Decibel Defender

 

Justus war das, was man einen aufgeweckten Jungen nennt. Mit seinen gerade mal 16 Jahren interessierte er sich für alles Mechanische, Elektrische und Informationstechnische. Kein Wunder, sein Opa hatte als Elektrotechniker ihn schon früh mit den Bauelementen und Gesetzen der Technik bekannt gemacht. „Aber, das wirst du erst später richtig verstehen“, so endeten die Opas Vorträge immer.

Justus wurmte das gewaltig. Er hatte alles verstanden. Machte es einen Unterschied ob man früher oder später etwas richtig versteht? Justus beschloss ein Exempel zu statuieren um den herablassenden Bemerkungen seines Opas ein Ende zu setzen.

Er stieß auf eine Anzeige des Amateur-Radio-Clubs. Dieser bot einen Bausatz für ein Radio an. Alle Bauteile, Schaltschema und ausführliche Anleitung für 40€. Verlockend. Er würde seinem Opa ein Radio präsentieren, elegant, laut und - vor allem – selbstgebaut.

Schnell war der Bausatz bestellt, nach zwei Tagen kam die Lieferung und Justus ging ans Werk. Schrauben, Löten, Justieren ging ihm schnell von der Hand. Schon oft bei Opa gesehen. In wenigen Stunden war alles zusammengebaut. Voller Erwartung betätigte er den Einschaltknopf, und es geschah - nichts. Kein WDR, kein SWF, kein Deutschlandfunk, nicht einmal ein Brummen oder Krachen.

Hastig entfernte er die Abdeckung, verglich seine Verdrahtung mit dem Schaltplan. Alles korrekt, kein Irrtum, kein Fehler. Schweißperlen traten auf seine Stirn, doch dann kam ihm eine Idee. Vielleicht funktionierte sein Radio nur im Freien wo die Wellen ungehindert auf die Antenne treffen würden. Er packte sich den Kasten, stob nach draußen auf die Terrasse und schaltete ein. Wieder kein Empfang. Er nestelte an allen Knöpfen. Kein Erfolg. Halb wütend, halb verzweifelt sank er auf einen Gartenstuhl. Erst mal beruhigen, erst mal nachdenken.

Nach einigen Minuten schaltete er sein Gerät, eher gelangweilt, noch mal ein.

Was dann geschah ließ seinen Atem stocken. Der Verkehrslärm, das Zwitschern der Vögel, das Geschrei der spielenden Kinder waren nicht mehr zu hören. Er schaltete wieder aus, sofort waren alle Umgebungsgeräusche wieder da. Unheimlich, phantastisch, ja sensationell! Er fühlte sich wie sich Columbus sich gefühlt haben musste, als er Amerika entdeckte. Das war zwar kein Radio, nein, das war mehr; viel, viel mehr.

Was hatten denn die Entwicklungen der letzten Jahre gebracht? Walkman, Fernsehen, Stereoanlagen, Smartphone? Lärm, Lärm und noch mehr Lärm. Die große Geißel der Menschheit, den Lärm, konnte er verschwinden lassen wie ein Zauberkünstler die eiserne Jungfrau verschwinden lässt. Ein kleiner Schritt für ihn, Justus, aber ein großer Schritt für die Menschheit.

Er eilte mit seinem Wunderkasten zum nahe gelegenen städtischen Kinderspielplatz. Tosender Lärm von unzähligen Kindern umfing ihn. Bedächtig schaltete er das Gerät ein. Sofort Grabesstille im Sandkasten. Die Kinder wuselten munter weiter, aber die Eltern gerieten in helle Panik. Mit weit aufgerissenen Mündern schrien sie in Richtung ihrer Kinder, aber man hörte nichts. Einige rafften sich ihre Kleinen und stoben entsetzt davon. Justus schaltete sein Gerät aus, das Lärminferno am Sandkasten setzte sofort wieder ein.

Wahnsinn!

Überraschung mischte sich mit mächtigem Stolz. Er, der kleine Radiobastler, hatte etwas geschaffen, was einzigartig war. Zwar unfreiwillig geschaffen, aber das bräuchte man ja niemanden zu sagen. Er nahm sein Radio wie einen Schatz fest unter den Arm und trottete gemächlich davon.

Auf den Nachhauseweg sann er nach einem Namen für seine Erfindung. Vielleicht stand er ja am Beginn einer Weltkarriere mit seinem Gerät. Millionär könnte er werden wenn seine Erfindung einschlug. Ja, ein zündender Name müsste her, und englisch müsste er klingen wie neuerdings alles, vom Auto bis zum Schokoladenriegel. Eine Reihe von Begriffen in bestem Putzeimerenglisch gingen ihm durch den Kopf, dann kam der entscheidende Einfall:

DECIBEL – DEFENDER.

Hochzufrieden näherte er sich seinem Elternhaus. Zuhause überlegte er, was wohl sein nächstes Experiment sein sollte.

In der Schule den Lehrer zum Schweigen bringen?

In der Kirche die Predigt boykottieren?

In der Turnhalle ein lautloses Handballspiel veranstalten?

Seine Gedanken überschlugen sich. Dann hatte er den genialen Einfall. Er würde sein Wunderwerk mit ins Stadion nehmen. Am Sonntag spielte zwar nur die Landesliga, aber einige tausend Zuschauer wären wohl da. Wieder zuhause experimentierte er weiter, schaltete den Fernsehton aus und wieder an, lies die Waschmaschine verstummen und machte Nachbars Hund unhörbar.

Er fieberte dem Sonntag entgegen. Tausende Leute im Stadion, das würde die Krönung seiner Experimente sein. Wie würde sich Lautlosigkeit auf ein Fußballspiel auswirken? Wie würden Spieler und Zuschauer reagieren? Er war auf wirklich alles gefasst.

Sonntagnachmittag um drei. Seine Heimmannschaft spielte gegen die 2. Mannschaft von Arminia Bielefeld. Das Stadion füllte sich. Justus hatte einen Platz auf den oberen Rängen eingenommen. Von hier aus konnte er das gesamte Stadion gut überblicken und die Folgen des Experiments einschätzen. Erwartungsvolles Volksgemurmel auf den Rängen. Justus juckte es in den Fingern.

Der Anpfiff ertönte. Er würde das Spiel erst mal ganz normal laufen lassen. Erst wenn sich eine prekäre Situation, ein Foul oder ein dramatischer Torschuss ergäbe, dann würde er mit seinem Dezibel Defender zuschlagen. Erbarmungslos.

Die Situation kam schneller als er gedacht hatte. Die Arminen spielten wirklich wie die Henker; Hackerfußball der Sonderklasse. Ein Bielefelder Mittelstürmer grätschte brutal in den gegnerischen linken Verteidiger und das kurz vorm Strafraum.

Tausende sprangen von den Sitzen und eine zehntel Sekunde bevor das Protestgeschrei der Fans losging, drückte Justus den Einschaltknopf seines Defenders.

Protestfäuste gingen gen Himmel, der Schiri hampelte planlos herum und blies mit dicken Backen in seine Trillerpfeife – aber kein Ton war zu hören. Vom Schiri nicht, von den Fans nicht und von den Spielern erst recht nicht. Totenstille! Tausende Zuschauer,  zwei Mannschaften und ein Schiedsrichter in einer fremden Welt. In einer Welt des Schweigens und der Tonlosigkeit.

Es dauerte nur wenige Minuten bis sich die Versammelten im Stadion der Situation bewusst wurden. Manche kauerten ängstlich auf den Sitzen, andere sprangen entschlossen auf und flohen. Wieder andere stürmten aufs Spielfeld und bedrängten den Schiri, die Spieler und die Trainer. Was sie auch machten, die Stille lag wie eine zähe Wolke über dem Stadion.

Was ist Fußball ohne Ton? Zu Fußball braucht man eigentlich keinerlei Geräusch, reiner Lauf- und Geschicklichkeitssport. Fußball in völliger Stille, ja warum nicht? Aber der Schiri machte nicht die geringste Anstalt das Spiel wieder anzupfeifen. Wie auch? Mit Gebärdensprache?

Justus wurde die Sache allmählich unheimlich. Das kann nur Mord und Totschlag geben, ging ihm durch den Kopf. Entschlossen schnippte er am Ausschaltknopf um dem Inferno ein Ende zu setzen.

Doch das Gegenteil dessen was erhofft hatte, trat ein. Ein Murmeln ging durchs Rund was sich dann zu einem lautstarken Krakeelen steigerte. Ganz offenbar wurden jetzt für den erlebten Totalausfall die Schuldigen gesucht. Prügeleien auf den Rängen, erst vereinzelt, dann fast überall. Selbst die Spieler kloppten sich, sogar innerhalb der eigenen Mannschaft. Eine Massenkeilerei wie sie noch nie dagewesen war.

Justus saß still auf seinem Platz und als die Keilerei näher kam verließ er still und unauffällig das Stadion.

Erster Weg zum Opa, dem würde er sein Geheimnis anvertrauen, der würde ganz schön staunen. Opa hörte sich die Story von Decibel Defender an, gab aber keinerlei Kommentar ab. Er ließ sich erst mal das Gerät öffnen und schaute sich die Schaltung an. „Ganz gut“, sagte er, „ist das hier der Einschaltknopf?“ Justus bejahte. Opa schaltete ein und aus dem Lautsprecher ertönte der WDR 2 in voller Lautstärke. Justus erstarrte. „Da hat du dir ja eine tolle Story ausgedacht, mein Junge, “ sagte er, “aber gute Arbeit, wirklich gute Arbeit. . . . . . . “

 

© Konrad Berghausen

 

 

12.5.2020  - Walpurgisnacht 2020

 

Ich steh im Dunkeln auf der kleinen Wiese hinterm Haus.

Die Magnolien- und Fliederbäume schimmern hell im strahlenden Mondlicht.

Über mir blitzen die Sterne.

Der „Große Wagen“ steht kopfüber schräg über dem Horizont.

Ein Lichtpunkt leuchtet besonders hell: die Internationale Raumstation.

Da oben drin hocken jetzt ein paar Menschen und schauen auf mich hinunter.

Ob ich wohl erkenne, wohin sie sich bewegt?

Nein, sie ist zu langsam.

Aber da!

Da ist noch ein leuchtender Punkt!

Der bewegt sich.

In Ruhe von Nordwest nach Südost.

Das ist doch keins der Flugzeuge, die ein paar Kilometer von hier starten und landen.

Da kommt noch einer!

In gehörigem Abstand genau in die gleiche Richtung.

Und noch einer.

Und noch einer!

Wie abgemessen in fast gleichem Abstand.

Eine lange Kette leuchtender Punkte.

Was ist das?

Wer ist das?

In der Walpurgisnacht?

Hexen fliegen doch auf Besen und nur im Märchen!

Doch nicht in UFOs!

Wieso nicht?

Vielleicht haben es damals im Mittelalter einige geschafft mit alchimistischen Künsten oder da-Vinci-Flugobjekten sich weiter in die Luft und darüber hinaus zu erheben.

Oder sind von Außerirdischen gerettet worden vor den schrecklichen Scheiterhaufen auf der Erde.

Und auf den Mond evakuiert.

Heimlich.

Die NASA soll doch so einige unerklärbare (Licht-)Erlebnisse ihrer Apollo-Astronauten unter Verschluss halten.

Und da oben scheint sich ja wieder eines abzuspielen.

Direkt über mir schwebt wieder ein neuer Leuchtpunkt.

Der hat die Kurve nicht gekriegt, fliegt schräg neben der geraden Linie der anderen, ziemlich nah an seinem nächsten Flugnachbarn.

Oder  – nachbarin?

Sieht aus, als hätte er oder sie Angst, allein zu fliegen.

Hält sich lieber im Leuchtschürzenzipfelschatten seiner/ihrer (Hexen?-)Mutter.

Torkelt ein bisschen.

Ich krause die Stirn.

Blödsinn.

Quatsch.

Märchen.

So was gibt es doch nicht in Wirklichkeit.

Aber doch!

Da oben!

Das ist doch nicht normal!

Noch einer!

Und noch einer.

Oder eine?

Frauen in Raumfahrzeugen hatten wir doch schon.

In der Internationalen Raumstation waren auf jeden Fall schon welche.

Und auf der Erde treffen sich viele Frauen in der Walpurgisnacht, die sich selbst Hexen nennen.

Zum Beispiel an den Externsteinen im Teutoburger Wald.

Auch auf dem Brocken im Harz entzünden sie leuchtende Feuer und tanzen.

Leuchten tut es jetzt auch da oben nicht zu knapp.

Und Tanzen im halbrunden Bogenreigen quer über den dunklen Frühlingshimmel.

Ist das jetzt die neueste Masche der modernen Hexen?

Ich werd es jetzt nicht herausfinden.

Vielleicht sagen sie etwas in den Nachrichten darüber.

Gleich beginnen die „Tagesthemen“.

Ich schaue noch ein letztes Mal nach oben zu dem seltsamen Lichterreigen, geh ins Haus, schalte den Fernseher ein.

Nichts.

In der heutigen Zeitung?

Nichts.

Komisch.

Ich suche im Internet, Stichwörter: „Sternenkette“, „Himmelsperlen“ …

Da: „Satellitenkette … in diesen Tagen können über Deutschland die Flugbewegungen der nächsten neu gestarteten sechzig SpaceX- Internet-Satelliten beobachtet werden, die in Form einer leuchtenden Perlenkette am 30.4.2020 gegen 22.30 Uhr auch über Köln zu sehen sein werden.“

 

Och!

Schade.

Wie langweilig!

 

Sechzig fliegende Mondhexen in spacigen Flugobjekten im terrestrischen Orbit wären doch sehr viel spannender gewesen!

 

Finde jedenfalls ich.

 

© Maria Emgenbroich 

 

 

Maskenpflicht für Hunde

 

Ein struppig schwarzer Hund

Knurrt laut, mit Maske vor dem Mund

Verlockend liegt vor ihm der Knochen

Vor Wut beginnt sein Blut zu kochen.

 

„Wie kann ich dieses Ding zerreißen?

Um endlich in den Knochen beißen.

Nun lacht die Katze mich noch aus,

Wart‘ ab! Ich komme gleich hier raus.“

 

Doch Bellen, Jaulen hilft ihm nicht.

Vielleicht gelingt es ihm mit List.

Er lockt die Katze: „Komm‘ nur heran!

Ich zeig‘ dir dann, was ich noch kann!“

 

„Maskenpflicht für Hunde ist nicht schlecht.

Uns Katzen ist sie immer recht.

Jetzt sollst du spüren meine Krallen.

Das wird dir sicherlich gefallen.“

 

Hart schlägt sie zu mit ihren Fängen.

Mit den Krallen bleiben sie in der Maske hängen.

Doch dankbar ist der Hund ihr nicht.

Springt auf, hätte beinahe sie erwischt.

 

Sie flüchtet schnell in einen Baum

Doch folgen kann der Hund ihr kaum.

Die Katze mag im Baume hocken.

Ihm bleibt ja noch der leck’re Knochen.

 

© Lothar Lax

 

 

Schreibimpuls 3:

 

Was fällt dir (utopisch, biografisch, fantastisch, lyrisch oder erzählend) zu Èduard Boubats ‚Rèmi, ein? (Kann auch mit den anderen Impulsen kombiniert werden).

 

Dazu entstanden:

Knabe mit Muschel.

 

Er fand

die Muschel im Sand

Neugierig legte er sie an sein Ohr

und noch nie zuvor

hörte er sie

die Meeresmelodie

sie trug ihn zum Strand

 

Die Mutter rief

geh nicht zu tief

doch er hörte nicht sie

als sie verzweifelt schrie

Der Sog hatte den Knaben erfasst

er war eine leichte Last.

  

© Franz Köhler

 

 

„Der Traum wartet heimlich auf das Erwachen“ (Walter Benjamin)

 

Manchmal scheinen sich Erlebnisse zu vermischen, die nichts miteinander zu tun haben und doch ähnliche Empfindungen hervorrufen.

Fasziniert betrachte ich den kleinen Jungen auf Eduard Boubats Foto. Er lächelt fast entrückt. Mit geschlossenen Augen lauscht er dem „Meeresrauschen“ einer großen Muschel. Wahrscheinlich träumt er sich zurück ans Meer. Eine Vision spiegelt sich seinem Gesicht wider, dieses Meer ist ja nicht „wirklich“. Es lebt in „des Knaben Wunderhorn“.

Und dabei gehen meine Gedanken zurück an das Europa-Konzert (über die „Digital Concert Hall“) der Berliner Philharmoniker vom 1. Mai, das mich in seiner „Unwirklichkeit“ nicht nur fasziniert, sondern unendlich berührt hat. Kirill Petrenko dirigierte als Letztes die Vierte Sinfonie in G-Dur von Gustav Mahler, die heiterste, fast verspielte seiner neun Sinfonien. Sie wurde von frühen Kritikern denn auch prompt als „kindlich-albern“ herabgesetzt, sollte später jedoch zum bejubelten Erfolg werden.

Im Zeichen von Corona saßen auf dem Podium statt des kompletten Orchesters nur vierzehn Musiker, weit auseinander: ein Streichquintett, drei Bläser, zwei an Flügeln, jeweils einer am Harmonium und am Schlagwerk. Ansonsten war das riesige Rund der Berliner Philharmonie gespenstisch leer - eine kaum vorstellbare Situation!

Doch das Wunder geschah! Unter dem Dirigat von Petrenko gestalteten die Musiker die Sinfonie als hinreißendes Kammerkonzert, das sogar viele musikalische Details noch deutlicher, noch intensiver hervorhob und die problematischen Begleitumstände - fast - vergessen ließ.

Im letzten Satz wurde dann die paradiesische Utopie - die Vision von den „himmlischen Freuden“ nach „des Knaben Wunderhorn“ von der Sopranistin Christiane Karg so herzerfrischend „irdisch-kulinarisch“ interpretiert - vom „lustigen Tanzen und Springen“ aller Engel und Heiligen, bis hin zum „Ochsen- und Lämmlein-Schlachten“ durch Sankt Lukas, dass kaum ein Wunsch offen bleibt. „Rehbock und Hasen laufen herbei“, Fische „kommen mit Freuden geschwommen“ und werden „mit Netz und Köder“ von Sankt Peter gefangen. „Gut Spargel und Fisolen“ samt „gut‘ Kräutern“ wachsen „im himmlischen Garten“, „Der Wein kost‘ kein Heller im himmlischen Keller“. „Sankt Martha die Köchin muss sein!“ Sie ist ja schließlich umfassend für die „vita activa“ zuständig. Und „Cäcilia mit ihren Verwandten sind treffliche Hofmusikanten“, so dass „Elftausend Jungfrauen zu tanzen sich trauen! Sankt Ursula selbst dazu lacht“.

Ist’s nicht ein schöner Traum?

Auch wenn der kleine Junge die Muschel absetzt, wird er noch lange vom Meeresrauschen träumen.

Leider kann uns von der „Utopie der himmlischen Freuden“ niemand etwas bestätigen, denn noch nie kam jemand von dort zurück.

 

PS:

Die Musiker spendeten alle ihre Gage für Flüchtlingskinder, die an den europäischen Grenzen am Corona-Virus besonders leiden - vielleicht für einige ganz irdische Freuden?

  

© Edith Lerch

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Kommentare: 1
  • #1

    Franz (Montag, 11 Mai 2020 22:10)

    Liebe Edith.Deine Geschichte über das Kammerkonzert der Berliner Philharmoniker
    vom 1.Mai unter der Leitung von K .Pitrenko ist großartig.
    Deine Begeisterung spricht aus jedem Satz.
    Nur der letzte Abschnitt entspricht nicht meiner Version. In meinem Fassung
    ist der kleine Junge ertrunken ; leider.