Texte in Coronazeiten

Natürlich gibt es immer auch Texte, die neben den Impulsen entstehen, aber doch von dieser besonderen Zeit geprägt sind. Sie sollen hier auch Raum haben.

Viel Freude beim Lesen:

 

 

Coronakrisentag

 

Kühle Nachtluft durchströmt den Raum.

Die Ruhe draußen garantierte erholsamen Schlaf.

Beim Erwachen erscheint das Draußen hellgrau:

Ein neuer Tag.

Ein Vogel verkündet die Gewissheit.

Der erste Gedanke an das Heute.

Schon legt sich ein schwerer dunkler Nebel auf ihn,

Corona.

 

Die Frau, ein paar Wohnungen weiter

ist gestern im Krankenhaus an diesem Virus

gestorben.

Dabei wollte ich ihr noch das Gebet geben,

wie in Krisenzeiten zu beten möglich ist.

Sie braucht es nicht mehr:

Sie ist schon heimgegangen.

 

Mein erster Gang auf den Balkon

Blüten und Pflanzen stehen gut wie immer

so, als hätten sie Corona überhaupt nicht

wahrgenommen.

 

Der Gedanke an meine demente Schwester

drängt sich erbarmungslos auf.

Sie und ich: Wir können und dürfen uns nicht sehen.

Corona!

Die geöffnete Wunde kann nicht heilen.

 

Nicht zum Einkauf auf den Weg machen.

In der Wohnung bleiben.

Allein.

Mit dem Fernseher, der nichts als Corona kennt,

und den Blüten auf dem Balkon,

die bunt und gesund

sich der Sonne und mir

entgegenstrecken.

 

©Edeltraut Nölkensmeier April 2020

 

 

menschlich (Garip)

Menschlich ist ein selbstbestimmtes Leben - menschlich.
Gemeinschaft ist menschlich, Mitgefühl - menschlich.
Teilen und sich Austauschen - menschlich.
Sehnen und Irren - menschlich.

Streben nach Anerkennung,
nach Tapferkeit,
nach Gerechtigkeit ist menschlich.

Vereinsamung und Verzweiflung nicht.
Aber die Würde des anderen zu achten ist menschlich.
Es menschelt allenthalben.
Begleitetes Sterben ist menschlich.
Menschlich ist ein selbstbestimmtes Leben - menschlich.

Nachsatz:
Lebensverlängerung ist nicht immer menschlich.
Leidvolle Sterbeverzögerung ist unmenschlich.

 

© Uli Kölling 

 

 

unsichtbar

vernichtend

allgegenwärtig

 

abstand - abstand

covid pandemie

ich bin fertig

einsam wie nie.

 

ende offen

sinn geheim.

soviel nonsens

und gemein.

 

© Maile Ira Folwill           

 

             

Ätzend  (Garip)

Ätzend ist die Isolation - ätzend.
Säuren sind ätzend, Laugen - ätzend,
Reinigungsmittel und Vogelkot - ätzend,
Corrosive und Corona - ätzend.

Ameisen im Wald,
Feuerquallen im Wasser,
Shitstorms sind ätzend.

Empathie und Austausch nicht,
aber Sarkasmus ist ätzend.
Graveure ätzen.
Tränen sind ätzend.
Ätzend ist die Isolation – ätzend.

 

© Uli Kölling

 

 

unerwartet

das corona virus

hereingebrochen

über alle menschen

 

völlig überflüssig

 

warum

 

tag für tag

woche für woche

jahre

 

warum

 

warten, warten...

 

glaube ich

an lösungen

an forschung

an den impfstoff für alle?

 

die zeiger deuten auf null

alles kann geschehen

fünf vor zwölf

 

© Maile Ira Folwill

 

 

Corona macht uns zu Sklaven

 

Wir fürchten Verbote
fürchten die Enge
fühlen uns eingesperrt.

 

Wir werden verordnet
fühlen uns enteignet
werden  ärmer.

 

Mir fehlt der Himmel
die unbegrenzte Öffnung
es weht keine frische Luft.

 

Wachsam behüten wir uns selbst
misstrauen unseren Nachbarn
Wir haben nur die Wahl auszuhalten.

 

Wie sähe Widerstand aus?
Corona macht uns fügsam
Angst macht uns stumpf.

 

© Ruth Wortberg, Mai 2020

 

 

Verhältnisse

 

Sie treten auf die Terrasse. Zuerst die Frau, hinter ihr das Kind. Sie setzt es auf die Bank und geht zurück ins Haus. Als sie wiederkommt, bringt sie eine Schale und einen Becher mit. Beides stellt sie ab und geht nochmals in das Haus.

 

Währenddessen schaut sich das Kind um. Es trägt einen Schlabberlatz und schöpft ab und zu mit einem Löffel aus der Breischale. Es dreht den Kopf langsam in alle Richtungen. Das Umfeld scheint ihm fremd. Es ist heute zum ersten Mal auf der Terrasse.

 

Die Frau kehrt wieder und stellt eine Schüssel mit einer Suppenkelle auf den Tisch. Sie streichelt dem Kind über den Kopf. Dabei bleibt sie stehen. Ein Junge, drei oder vier Jahre alt. Die Frau schöpft ihm nach und nimmt selber einen Schluck aus der Kelle. Sie lächelt ihn an. Er lächelt schüchtern zu ihr hoch. Jetzt setzt sie sich.

 

Ein Mobiltelefon steht vor seinem Gesicht. Aus dem Gerät hört man eine quäkende Stimme. Das Kind murmelt etwas und löffelt weiter den graubraunen Brei. Milch und Schokoladen-flakes. Ohne Obst.

Die Frau versucht das Kind zu animieren, mit der Person im Telefon zu sprechen. Ihm aber fällt nichts ein. Es löffelt.

 

Eine Weile später steht der Junge im Garten und hantiert mit einem Tennisschläger. Die Frau bleibt sitzen und schaut zu. Einige Zeit darauf sitzt der Junge im Wohnzimmer auf dem Sofa und guckt Fernsehen. Der Bildschirm spiegelt sich in der Balkontür, die offen steht. Draußen scheint die Sonne. Es ist angenehm warm.

 

© Sabine van de Sandt

 Corona Woche 7

 

 

Vorgezogene Erinnerungen

Anno 2020 – isch erinnere misch  aan der Corvid-19-Knatsch…

 

Dat wor jet Neues, do kunnte mir widder schwaade;  mir wooten Experte für Jesischts-Maske un Visiere em Jesesch un üvvertroofen uns met   Jesichts-Kreatione der besonderen Art und  kölschen Beschreibungen, wie: Filtertüt,  Schnüssblömsche, Mömmesfänger, Bützjekondom.

Do hatten mir Zick, ob mir wollten odder nit, uns Kreativität usszulevve, do mooten mir uns joot üvverläje, op mir de Schnüss schwaade wollte oder lever uns de Luft spare sollten un oppassten dat uns nit uns Brell beschlaaren däät.

Mir wooten Experte em Abstandhalten un woßten, dat mir vor allem keine Chines bützen durften, denn dat Virus hatten die en do janzen Welt jepustet.

 Em Karneval moote mir die jo noch bütze, dat wor jo „e Muss“ als jute Jastjeber.

Jetz durften mir keine mie bütze, op hä ne eschte odder ne verkleidete Chines. Nä.., jetz durften mir „Ahle“och keine mie us der eijenen Fammillisch mie bütze, denn mir jehööten ab 60 Johr zur „Risikotruppe“. wenn uns en do Bahn einer jet hosten däät un nit en singen Ärmel schniefen wollt, dann, jo dann hät esu manscher die Pulizei verständijen wollen; ävver do moot mer och oppasse, denn die kunnten jo em Karneval vun enem Chinese jebütz woode oder vun denne Krawall-Jungs aanjespuck wooden sinn. Alsu konnt och die Pulizei dä ein odder andere fiese Virus einjefange han.

Nä, ab 15.März wooten di Schulle, die Kinderverwahranstalte un de Industrie un die Kultur lahmjelecht un nur die Supermärkte durften noch ophan un die sollt mir dann nur met denne Filtertüüte  bewandere. De Bahne, de Jeschäfte un de Stroße woren voll met denne Schnüssjäcksche.

Ävver als Experte kunnten so manche Jeck dä Virusknatsch joot usshalde, wenn sie  die Supermärkte  met tonnewies Klopapier usrühmten odder  ahl Madämsche sisch op et Einkaufsband läächten un  ihr Klopapier met Kralle un Fööss verteidigten. Des Naaks wooten die Apotheke jeplündert, öm aan die Bützjekondome ze kummen.

Ävver dat Schönste wor doch, dat jetz nit nur e paar Lückscher sisch de Häng reinijen dääten, enä, jetz lierten dat och die Reinijungsmuffel, die kunnten jetz endlich ens lieren, wie mer sisch met vell Seif un Wasser de Häng wäschen däät.

Isch woor  2020 joot opjestallt un kunnt Ende des Jahres en rundum  opjerühmte un jrund-jereinischte Wonnung jenessen. Janz vell Jeschichte hann isch schrieve künne, isch hat jo Zick.

Op isch em kommende Karneval  widder ne eschte Chines oder ne maskierte bützen kann, datt weiß isch nit.

Isch muss jetz ets ens widder liere ming Famillisch ze bütze un janz fest en ming Ärm ze nämme, weil mir jo joot jeliehrt hatten uns met Elleboren odder Stippeföttsche ze bejrüssen.

Su sooch et en do janzen Welt 2020 uss.

 

© Christina Komenda / Mai 2020

 

 

Wer hätte das gedacht?

 

Freude , Glück und gute Laune. Das alles kann ein Anruf auslösen.

Nämlich der Anruf meiner Frisörin Jasmin.

Endlich öffne der Salon wieder und sie hätte einen Termin für mich. Schöner hätte ein Lottogewinn

in diesem Moment nicht sein können. 8 Wochen hatte ich ohne sie auskommen müssen.

Der Blick in den Spiegel wurde von Tag zu Tag grausamer. Keine Farbe, kein Haarschnitt,

Da half auch nicht, dass ich die Haare von hinten nach vorne kämmen wollte, um den Ansatz zu vertuschen. Bei Sturm und Wind sollte ich sowieso besser zuhause bleiben.

Nie hätte ich gedacht, dass mich ein Telefonat so fröhlich stimmen würde.

Endlich am 5. Mai um 10 Uhr war es dann soweit. Der Salon hatte sich verändert. Einige Plätze waren weggeräumt und im Eingangsbereich stand ein Tisch mit Desinfektionsmittel. Daneben lag ein Formular, wo nach Name Adresse und Uhrzeit gefragt wurde. Die Frisörinnen trugen Gesichtsmaske und Handschuhe. Irgendwie sahen sie fremd aus. Jasmin kam auf mich zu und nach dem Hände desinfizieren nahm sie mich mit an den für mich reservierten Platz.

Sichtlich peinlich war ihr, dass sie mir nichts anbieten durfte. Heute kein Kaffee, kein Wasser, kein Plätzchen. Noch nicht einmal eine Zeitschrift , in der ich mich sonst mit dem Leben der Promis beschäftigen konnte. Mein Wasserfläschchen hatte ich dabei.

Als Stammkundin seit vielen Jahren, brauchten wir nicht viel Beratung. Die Schere hatte viel zu tun. Spontan entschied ich mich, heute keine neue Farbe zu bekommen. 40 Jahre gefärbt, von blond über rot, mit Strähnen und ohne, eigentlich genug. Die Gelegenheit , das grau anzunehmen,

war günstig. „Sind das auf dem Boden alles meine Haare?“

„Natürlich“ sagte Jasmin. „Ich glaube, weiß würde Ihnen gut stehen.“

„Dann versuchen wir es doch“. Mal sehen wie lange ich es durchhalte.

Auch mich hat Corona verändert. Zuhause bleiben bot genug Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Trotz der Krise habe ich meine Freude an schönen Dingen nicht verloren. Die Blumen auf meinem Balkon erfreuen mich jeden Tag. Auch für die Erfindung des Smartphones, dem Internet mit vielen Möglichkeiten, bin ich dankbar, Was mir fehlt, ist der Besuch der Schreibwerkstatt. In Gemeinschaft zu schreiben, zu diskutieren und herzlich zu lachen, wünsche ich mir bald zurück.

 

© Christel Matschke 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Petra Schröter-Frielingsdorf (Mittwoch, 06 Mai 2020 17:24)

    Der Beitrag von dir, Christina hat mich in schwieriger Zeit wieder zum Lachen gebracht , mit typisch trockenem aber echt „kölschem“ herzlichen Humor die teils extremen menschlichen Auswüchse sehr schön persifliert.

  • #2

    Edith Lerch, 9.5.2020 (Samstag, 09 Mai 2020 14:16)

    Liebe Christina,
    dein kölsch-kreativer Beitrag hat meinen Sprachgebrauch erweitert. Nä, wat is dat schön: "Bützjekondom" schlägt "Mömmesfänger" und macht mir meine selbstgenähten Masken (fast) sympathisch. Herzlichen Dank!

  • #3

    Franz Köhler (Sonntag, 10 Mai 2020 18:07)

    Lev Christina. Mir hät ding Geschich ech joot jefalle.
    Et wo jet zum schmunzele.