Juhu - die ersten Texte sind da!

Sie sind entstanden zu:

'Wie schnell sich die Dinge ändern'

Erwin Mosers Bild und Gedicht

einer Wahrnehmungsübung

dem Gedicht von Walt Whitmann

und zu einem kleinen grünen Männchen!

 

Wie Ihr, wie Sie, sehen könnt, sind zuerst die Schreibimpulse genannt, und darunter die dazu entstandenen Texte - viel Spaß beim Lesen, vielleicht auch Schreiben und/oder Kommentieren!

Romananfang von Thommie Bayer, ‚Singvogel‘:

Wie schnell sich doch die Dinge ändern.

  

Führe den Text fort …

Dazu entstanden:

Am Silvesterabend wurde von uns singend und tanzend mit Raketendonner das neue Jahr begrüßt.

Karneval haben wir dichtgedrängt am Zugweg gestanden.

Es wurde gebützt und geschunkelt. Wir haben uns gefreut und viel gelacht.

Und jetzt? Nur ein paar Wochen später?

Quarantäne, Hamsterkäufe, Einsamkeit, Krankheit, Tod.

Und das weltweit. Corona hat uns ausgebremst und fest im Griff.

Aber auch diese Dinge ändern sich wieder; hoffentlich zum Guten.   

 

© Ursula Havig  

 

Die verhinderte Nordlandfahrt

 

    Wie schnell sich doch die Dinge ändern! Vor zwei Wochen waren wir voller Zuversicht schon bald auf dem Wege nach Norwegen zu sein. Die Koffer waren gepackt und alle Reiseunterlagen vorhanden. Schon oft verbrachten wir unseren Urlaub in Norwegen, aber jetzt sollte es eine Winterreise sein, mit Polarlichtern und Schlittenhundefahrt. Für heute stand eine Stadtrundfahrt in Trondheim auf dem Programm, nachdem wir das Nordkap und Hammerfest besucht hätten. Es sollte nicht sein. Winzige Viren, die sich alleine nicht bewegen und fortpflanzen können, haben uns die Ferienfreuden genommen. Aber verglichen mit denen, die schwer erkrankt oder gar gestorben sind, ist das nur ein geringes Übel. Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen werden wir alle noch zu spüren bekommen.

 

 Gehen wir heute durch die Stadt, scheint diese ausgestorben; Straßenbahnen fahren im Berufsverkehr nahezu ohne Fahrgäste an uns vorbei. Vieles, was für uns normal war, ist es nun nicht mehr. Aber es betrifft nicht nur uns. Wie dunkle Wolken ziehen die Erreger über die ganze Welt und lassen kein Land aus. Auch England, das sich von Europa befreien wollte, konnte seine Grenzen gegen die Viren nicht schließen. Keiner von uns hätte vor wenigen Wochen daran geglaubt, dass sich Dinge so schnell ändern können.

 

© Lothar Lax

 

 

Der Frühling ist eingekehrt. Die Seele denkt wieder bunt. Die Tage werden heller. Aus dem Boden ragen die ersten Frühlingsblüher. In den Menschen regt sich magische Neugier. Endlich ist die helle Jahreszeit eingekehrt. Damit verbunden die Frühlingsgefühle. Während Krokusse und Schneeglöckchen ihre Köpfe in den Himmel erheben, beginnt das Kribbeln und Erwachen. Die Kraft des Frühlings, die Magie die sich zwischen März und Mai zeigt, hält Jung und Alt in Bewegung. Natur, Licht und Menschen werden wieder sichtbar.

Dann ist er plötzlich da. Ein gefährlicher Virus, der den ganzen Planeten beschäftigt. Der Angst macht und der Wirtschaft in der ganzen Welt schadet. Alles um uns herum wankt und schwankt. Die Erde bekommt eine Verschnaufpause. Unglaublich, worauf plötzlich verzichtet werden kann. Geschäftsreisen werden ersetzt durch Videomeetings, Homeoffice ist angesagt. Soviel CO2-Ausstoß fällt weg, überall auf der Welt, angestoßen durch Corona. Ohne den Virus hätte sich nichts geändert. Höher, schneller, weiter lautete die Devise. Nutzen wir die Chance. Die Pausentaste ist gedrückt, ohne Vorwarnung. Mehr Zeit zum Nachdenken, Besinnen. Erkennen, welche Dinge wirklich wichtig sind. Es findet ja absolut nichts mehr statt. Dinge, die man im täglichen Hamsterrad viel zu schnell aus den Augen verloren hat. Sie sollten nicht vergessen werden, auch wenn die Welt sich wieder schneller dreht.

Danke und Wertschätzung an all` die Ausnahmen. Menschen, die die Infrastruktur erhalten, an die Pflegekräfte, Menschen in der Digitalisierung, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft gewährleisten.

 

© Maria Boyn

 

 

Wie schnell sich doch die Dinge ändern.

 

Julia lächelt. Plötzlich muss sie sich nicht mehr mühsam entscheiden: Kino, Theater oder doch lieber Konzert? Plötzlich findet einfach nichts statt. Und sie kann nichts verpassen. Nichts verpassen! Plötzlich hat sie soviel Zeit! Zeit für... für... für Dinge, die sonst liegenbleiben.

Was bleibt liegen? Staubsaugen, das schwarze Kleid nähen, Keller aufräumen...

Ja. Aber das sind Aufgaben. Dinge, die sie erledigen muss. Muss. Sie will aber mal nicht müssen. Nichts erledigen. Nicht die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen. Was ist sinnvoll?

Sie will... sie will... sie will einfach mal nur sein. Sein dürfen. Was heißt das?

Einfach sein. Bei dem Gedanken fließt etwas sehr schweres von ihrem Nacken und ihren Schultern hinunter bis zu den Füßen und in den Boden. Nur sein. Sie weiß nicht, was das genau für sie heißt. Aber es fühlt sich so gut an!

Sein. Atmen. Spüren. Sich spüren. Und sein lassen. Lassen. Zulassen. Fließen lassen. Was immer das heißt.

Raus gehen. In die Natur. Bäume sehen, anfassen, umarmen. Moos streicheln. Blütenduft einatmen. Einsaugen. Leben! Sich lebendig fühlen.

Lesen. Mal wieder ein Buch lesen. Da liegen doch noch einige ungelesene im Regal.

Und... und... schreiben! Ja, schreiben will sie auch endlich wieder. Wieder mehr. Überhaupt wieder. Schreiben. Warum schleicht sie immer um das Schreiben herum? Warum kommt ihr immer irgendetwas anderes dazwischen? Was ist denn wichtiger? Was ist ihr überhaupt wichtig?

Zur Ruhe kommen. Achtsam sein. Also gegenwärtig. Im Hier und Jetzt. Und so. Loslassen. Das klingt alles so gut! Ach, wie schön, soviel Zeit! Viel Zeit für...

 

Was? Die Theater, Museen, Kinos machen übermorgen wieder auf? Nein! Nicht wieder entscheiden müssen, wohin! Nicht wieder Angst haben, etwas zu verpassen! Nein!

 

Obwohl: mal wieder mit Susanne ins Kino gehen wäre auch schön. Oder mit Tom in eine Ausstellung. Und endlich wieder zur Chorprobe gehen! Und...

 

Wie schnell sich doch die Dinge ändern.

 

© Ute Almoneit

schreibt, spricht, zirpt und brummt 

www.ute-almoneit.de 

 

 

Wie schnell sich die Dinge ändern…

 

...und wie lästig so ein Virus werden kann. Ich bin es nicht gewohnt, in meiner Freiheit beschränkt zu sein, auf angenehme Dinge und Ereignisse zu verzichten und nicht zu wissen was kommt. Kurzum, ich habe zu leiden ohne das Virus selbst verursacht zu haben.

Corona ist einfach Scheiße, und dabei gibt es kaum noch Klopapier.

 

Abgesagt wurden:      meine Schreibwerkstatt

                                               unsere Reise nach Hamburg

                                               ein Konzert in der Elbphilharmonie

                                               die Geburtstagsfeier meiner Frau

                                               Treffen mit Freunden

                                               ein Essen im Edelrestaurant

                                               das Kölsch in meiner Lieblingskneipe

 

Nicht abgesagt werden:         Spaziergänge im Wald

                                               Radtouren über die Felder

                                               Frühlingserwachen

                                               mein Zuhause

                                               Zeitung, Bücher und Fernsehen

                                               gute Gespräche

                                               die Kochkünste meiner Frau

                                               meine Liebe

                                               mein Leben

 

 

© Dieter Metzmacher

 

 

Wie schnell sich doch die Dinge ändern

 

Dinge ändern sich?

Ist es die Liebe zueinander?

Sind es Begegnungen - unerwartete?

oder Taten, nie dagewesene  Verbundenheit?

 

Ein Mensch ändert sich – auch die Natur.

Das Wetter - bringt Überschwemmungen – Taifune –

Erdbeben – Vulkanausbrüche - Dürreperioden.

Doch nun, jetzt in diesen Tagen.

 

Die Quellen sind noch unbekannt.

Ein Virus - löst Entsetzen aus. Unbekannt – tödlich!

Menschen sterben

Tiere sterben

Der Virus breitet sich aus, weltweit.

Corona.

 

Ratlosigkeit allerorts.

Vierzehn Tage Inkubationszeit

Fieberhaft wird geforscht, ein Impfstoff nicht in Aussicht.

Vier Wochen sind es nun. Ausgeh-Verbot

Es half uns in unserem Land die Zahl der Neuinfizierten niedrig zu halten.

Nun hoffen wir…

Wie schnell sich doch die Dinge ändern!

 

 @ Käthi Schneider


Impuls 1:  Zu Bild und Text von Erwin Moser (Der Wurm, der im Sturm unter der Erde lebt)

 

DAZU ENTSTANDEN:

Sturm über der Wurmhöhle                                                                         

 

Frau Sturm tobt. Fegt alles durcheinander. Verbiegt Bäume und Sträucher. Wirbelt Blätter und Blüten, Käfer und Bienen hoch in die Luft.

„Hey!“ summt Frau Hummel vor Schreck eine Oktave höher als sonst. „Was ist denn los, Frau Sturm? Warum regst du dich so auf?“

„Ooooh,“ braust Frau Sturm, „der Herr Wurm hat sich mal wieder versteckt, und ich kann ihn nicht finden!“

„Achso“, brummt Frau Hummel nun wieder in ihrer gewöhnlichen tiefen Tonlage. „Aber das tut er doch oft. Das ist doch kein Grund für so einen Aufstand!“

„Ooooh, doch, ich brauche ihn! Er soll arbeiten.“

„Ach, Frau Sturm, lass ihn doch! Er liest bestimmt gerade ein spannendes Buch und will sich nicht stören lassen.“

„Du verteidigst den Faulpelz auch noch, Frau Hummel! Pass auf, ich wirbele dich bis zu den Bäumen dahinten!“

„Das macht mir gar nix, Frau Sturm, ich kann ja fliegen.“

„Also gut, Frau Hummel, du weißt ja offenbar, wo Herr Wurm ist. Sag ihm, dass ich ihn sprechen will!“

„Ich bin zwar nicht dein Dienstmädchen, Frau Sturm, aber ich werde es ihm ausrichten.“

Frau Hummel lässt sich von einem Windstoß davontragen und fliegt dann hierhin und dorthin, damit Frau Sturm ihr nicht folgen kann. Schließlich landet sie an einem Punkt auf der Wiese, der sich in nichts von anderen Punkten auf der Wiese unterscheidet. Durch ein schmales Loch im Boden ruft sie „Herr Wurm, bist du da?“

Herr Wurm lässt vor Schreck das Buch fallen.

„Mist!“ grunzt er. „Jetzt ist es zugeklappt, und ich weiß nicht, auf welcher Seite ich war.“

„Herr Wurm!“ brummt es wieder von oben.

„Ja!“ bellt Herr Wurm. „Ich bin hier und möchte nicht gestört werden. Wer ist denn da?“

„Na, ich natürlich, die Frau Hummel! Ich soll dir von Frau Sturm sagen, dass sie dich sprechen will.“

„Frau Sturm? Warum denn?“

„Du sollst arbeiten, sagt sie.“

„Arbeiten? Aber doch nicht jetzt! Ich arbeite, wenn meine Zeit zum Arbeiten da ist. Jetzt ist meine Zeit zum Lesen.“

„Ja, ich weiß, aber du kennst sie ja. Hörst du nicht, wie sie hier draußen rumtobt?“

„Nein, ich höre nichts. Ich lese. Hier in meiner Höhle ist es ruhig und warm. Außer dir weiß ja zum Glück keiner, wo ich bin.“

„Huuuh, Frau Hummel“, braust es da von oben, und ein Windstoß durchpustet die kleine Wurmhöhle. „Was hockst du denn da im Gras? Haust da drunter etwa der faule Herr Wurm?“

Herr Wurm seufzt. Er sucht die Stelle in seinem Buch, an der Frau Hummel ihn beim Lesen unterbrochen hat, steckt das Lesezeichen dort hinein und schließt das Buch. Während er von oben Frau Sturm und Frau Hummel diskutieren hört, löscht er die Kerze, wickelt Kerze, Kissen und Buch in die Decke, schnallt sich alles auf den Rücken und fängt an, sich durch das Erdreich zu graben. Ruhige warme Höhlen gibt es schließlich überall. Er muss sie nur selbst bauen. Und im Buddeln und Graben ist er ziemlich gut. Wenn er dann in seiner neuen Behausung das Buch zuende gelesen hat, wird er Frau Hummel eine Email schicken. Sie hat jetzt bestimmt ein schlechtes Gewissen.

 

© Ute Almoneit

schreibt, spricht, zirpt und brummt 

www.ute-almoneit.de 

 

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Impuls 2: Übung zur Wahrnehmung 

Dazu entstanden:

Frühlingssonne

 

  Mit einem Buch in der Hand gehe auf unsere Terrasse und genieße die Frühlingssonne, die jetzt, Mitte März, schon deutlich an Kraft gewonnen hat. Aber der Wind, der kräftig aus Osten weht, ist kalt; in der Nacht hat es noch gefroren. Hier in der sonnenbeschienen Ecke der Terrasse mache ich es mir, in eine Decke gehüllt, auf der Gartenliege gemütlich und genieße die Sonnenstrahlen. Ich blicke in die Weide am Gartenzaun, deren kahle Zweige zartes Grün ansetzen, das von Tag zu Tag mehr wird. Vielleicht noch eine Woche und die Blätter lassen nur noch ein wenig von Himmel durchscheinen.

   Hummeln und Wildbienen schwirren, durch die ersten Blühten angelockt umher und suchen in unseren Insektenhotels nach geeigneten Löchern, um dort Eier für kommende Generation zu legen. Den Zugang verschließen die dann sorgfältig mit feuchten Lehm.

  Blaumeisen suchen im Garten nach Nistmaterial und fliegen damit zu den Nistkästen, die ich in der Weide und unserem Gartenhaus angebracht habe. Die Amsel, mit ihrem weißen Flecken auf der Brust, die schon lang in unserem Garten heimisch ist, stochert im Gras nach Würmern und Käfern. Oben in der Weide sind die beiden Elstern, die ich im Winter meist auf dem Dach des Nachbarhauses beobachtet habe, damit beschäftigt Stöckchen im Schnabel zu ihrem Nest zu bringen und dort einzuflechten. Das Nest, hoch oben in der Weide war im letzten Jahr schon Kinderstube für junge Elstern.

   Am frühen Morgen habe ich beim Frühstück noch die Meisen zwitschern gehört, und den vielstimmigen Klang der Amsel gelauscht. Jetzt ist es still; die Vögel sind mit Futtersuche und Nestbau beschäftigt.

   Ein dumpfes Brummen macht mich auf ein Flugzeug aufmerksam, dessen Kondensstreifen sich wie am Lineal gezogen nach Westen fortbewegt. Vom Norden her nähert sich ein anderes Flugzeug, dass wenige später den Kondensstreifen der vorherigen Maschine kreuzt. Eine kleine Wolke schiebt sich vor die Sonne und augenblicklich spüre ich, wie es deutlich kälter wird. Aber nur für einen kurzen Moment, dann spüre ich die warmen Sonnenstrahlen wieder im Gesicht.

 Ich schlage das Buch auf und beginne zu lesen. Nach einiger Zeit steigt mir Kaffeeduft in die Nase. Ich habe kaum drei Seiten gelesen, dann fielen mir die Augen zu und das Buch glitt zu Boden. Nun hat mich der Kaffeeduft aus dem kurzen Schlaf geweckt. Ich gehe in die Küche, wo der Tisch gedeckt ist und es zum Kaffee frische Waffeln mit heißen Kirschen gibt.

 

© Lothar Lax

Mit allen Sinnen

 

Im frühen Frühjahr, wenn die Sonne mittags noch nicht auf meinen Balkon scheint, fahre ich gerne mit dem Fahrrad durch mein Viertel. Die blühenden Büsche, Sträucher, Bäume und Blumen wie Magnolien, Forsythien, Kirschblüten, Tulpen, Narzissen und Stiefmütterchen und viele andere, sind nach den trüben Wintermonaten eine Augenweide.

 

Heute ist es sonnig, sehr sonnig, aber ein kalter Nordost-Wind bläst so stark, dass ich mich ordentlich anstrengen muss, um von der Stelle zu kommen. Aber die Lang-samkeit steigert den Genuss.

 

In diesen verrückten Zeiten, in denen das Corona-Virus um sich greift, ist alles ver-langsamt. Plötzlich haben die Menschen Zeit, wenige Autos sind auf den Straßen und kaum einer geht vor die Tür, Entschleunigung heißt die Devise. Ach, doch, da begegnen mir zwei Nachbarn. Wir begrüßen uns aus der Distanz, lachen uns an. Ich radle weiter, einfach kreuz und quer, zunächst ohne Ziel, doch am Ende meiner kleinen Tour ist ein Besuch auf dem nahen Friedhof geplant.

 

Bis auf einen Nachbarn, der vor  zehn Jahren dort beerdigt wurde, habe ich keinen der dort Bestatteten gekannt. Ich besuche diesen Friedhof gerne, weil er so ein geschützter Ort ist, weil die Gräber sehr gepflegt sind, die meisten jedenfalls, weil hier stets wohltuende Ruhe herrscht.

 

Ich schiebe das Rad durch die Gänge; schaue mal rechts und links und freue mich an der Pracht der roten, gelben, weißen und blauen Blüten, die im Sonnenlicht nur so um die Wette strahlen. Dann biege ich in den Weg rechts ab und sehe, dass „meine Bank“ frei ist. Diese Bank ist eine Besonderheit, sie ist weiß,aus hölzernen Latten, nicht wie die meisten Kölner Bänke aus diesem hässlichen grünen Drahtgeflecht, steht unter einem Baum, der z. Zt. noch keine Blätter trägt und ist so ausgerichtet, dass einem die Sonne ins Gesicht scheint.

 

Ich stelle das Rad ab, breite das Sitzkissen aus, es ist noch zu kalt von unten, und setze mich, strecke die Beine aus, lasse mich bescheinen. Atme tief durch, nein, bei diesen Temperaturen kann ich keinen Blütenduft erschnuppern. Unter meiner Sonnenbrille schließe ich die Augen, höre die Vögel zwitschern, Amseln, Meisen und andere, deren Sprache ich nicht kenne.

 

So sitze ich eine ganze Weile. Höre Schritte auf dem Asphaltweg, das Kratzen einer Harke rechts auf einem Grab. Ein Specht hämmert an der alten Buche. Ich höre Stimmen, die näher kommen. Zwei alte Damen, denke ich. „Da haben sie aber ein schönes Plätzchen, einen schönen Nachmittag,“ sagt die eine. Ich öffne die Augen, erwidere den Gruß und sehe, dass eine einen Rollator schiebt. Die andere ist jünger, mag wohl ihre Tochter sein. Wir winken uns zu, lächeln uns an, sie gehen weiter.

 

Ein Eichhörnchen huscht über den Weg, klettert behände am dicken Stamm der Platane hoch. Ob es wohl schon Junge hat für die es sorgen muss? Nächstes Mal werde ich mir ein paar Nüsse einstecken.

 

Umgeben von Gräbern mit großen oder kleinen Grabsteinen, mit Goldschrift oder rustikal, in poliertem Marmor, Granit oder mit schlichtem Holzkreuz, denke ich an die Menschen, die hier bestattet wurden. Arme und Reiche, Männer und Frauen, Schöne und Hässliche, hier, auf dieser allerletzten Station, sind sie alle gleich. Egal ob Fabrikdirektor, Lehrer, Professorin, Hausfrau, Handwerksmeister, Frisörin oder Putzfrau, Schüler oder Student. 

 

Wo mögen sie nun sein, die Seelen der Menschen? Existieren sie in irgendeiner Form, machen sie sich Gedanken oder Sorgen um die ihre Menschen, die sie zurück lassen mussten?

Ich möchte mir vorstellen, dass sie dort, wo sie sind, uns sehen, begleiten und beschützen. Das hat für mich etwas Tröstliches, besonders in dieser Zeit. Alle meine Lieben, die vor mir gehen mussten, vermisse ich sehr.

 

Meinen Bruder Rolf, an den ich mich nicht erinnern kann, weil ich noch zu klein war als er starb, meine Schwester Ise, die nur 49 Jahre alt wurde, meine Großmütter, die mir viel Zuwendung und Liebe gegeben haben. Auch denke ich an meinen Großvater Gustav, der lange vor meiner Geburt verstorben ist. Wie wäre es wohl gewesen, als kleines Mädchen neben ihm am Ruder des großen Lastkahns zu stehen und von Basel nach Amsterdam zu fahren?

 

Am meisten natürlich fehlt mir mein Mann; zusammen sind wir erwachsen geworden und waren 44 Jahre verheiratet. Gemeinsam haben wir die Welt entdeckt, sind von Ost nach West gereist. Meinen Vater, der als letzter gestorben ist, hätte ich noch so viel fragen wollen. Vorbei!!!
Ich bin nun die Älteste der Familie, der Methusalem, sage ich manchmal. Das ist nicht immer einfach zu tragen.

 

Aber „das Leben geht weiter“, sagt man oft, und ich finde diesen Satz blöd. Das weiß mein Kopf schließlich selber, nur der Bauch, das Herz, das Gefühl ist von Zeit zu Zeit anderer Meinung.

 

Wenn endlich mein Kopf wieder die Oberhand gewonnen hat, denke ich an eine Begebenheit vor zwei Jahren beim Zahnarzt. Ich brauchte eine neue Krone und besprach mit dem Arzt das Material. „Nehmen sie bitte das, das am besten hält, ich werde 104 Jahre.“ Wir haben beide gelacht, ernst gemeint war das von mir natürlich nicht, aber wer weiß. Jedenfalls ist das seitdem meine Richtschnur.

 

So hänge ich meinen Gedanken nach, auf dem Friedhof in der Alfred-Nobel-Straße an diesem Märznachmittag im Coronajahr 2020. Doch nach einiger Zeit geht`s weiter, nach Hause, meinen Nachmittagstee trinken und den neuen Text aufschreiben.

 

© HanneLore Wozny

 

 

Im Garten – Wahrnehmung mit geschlossenen Augen

 

Der Garten ist mein Herz. Hier sitze ich mit geschlossenen Augen. Das Wasser im kleinen Teich an der Terrasse plätschert. Ein pulsierender Quell, wohltuend und beruhigend. Im großen Ahornbaum neben dem Garten zwitschern Vögel hell und vielstimmig. Sanfter Wind wiegt die Blätter hin und her. Ich spüre die Brise, die meine Haut streichelt. Angenehme Ruhe breitet sich aus. Es knistert im Unterholz. Vielleicht ein Vogel auf Futtersuche? Das Gemurmel der Nachbarn, die leise reden, lachen, erzählen, wird vom Ballspiel der Kinder an der nahen Schule übertönt. Weit entfernt wird der Rasen gemäht. Das leise Summen der Bienen, die emsig die Blumen bestäuben, klingt wie Musik.  

 

Ja, der Garten ist mein Herz!

Ich brauche den Boden unter den Füßen und einen Baum zum Anlehnen. Die Natur lächelt je bunter und vielfältiger die Blumen, je grüner und wilder die Blätter sind. Beschäftige ich mich mit Erde und Pflanzen schenken sie mir Ruhe und Entlastung für die Seele.

Die Blumen flüstern und sprechen vom nahenden Sommer.

 

© Maria Boyn

 

 

Das Fiepen

 

„Was quietscht denn da?“

„Ich hör nix.“

„Irgendwas fiept doch die ganze Zeit!“

„Ich höre weder was quietschen noch fiepen.“

„Vielleicht kannst du diese hohen Frequenzen gar nicht mehr hören.“

„Klar! Das ist doch bestimmt wieder dein Tinnitus.“

„Ich hab doch keinen Tinnitus!“

„Du hast doch schon öfter was fiepen gehört.“

„Ich? Nee!“

„Doch. Letzte Woche hast du auch schon...“

„Wann letzte Woche?“

„Ach, das war doch, als Uli und Lisa gerade weg waren.“

„Ach ja! Da war es plötzlich so still.“

„Und da hast du gefragt, was fiept denn da.“

„Ja, das kann sein. Und was war es dann?“

„Na, offenbar dein Tinnitus.“

„Ach, Quatsch! Es war...es war ein Fiepen, ein Quietschen, so wie das jetzt gerade.“

„Aus welcher Richtung kommt es denn deiner Meinung nach?“

„Meiner Meinung nach! Wieso meiner Meinung nach?“

„Ich will dir doch nur helfen!“

„Du machst dich über mich lustig!“

„Das würde ich nie tun.“

„Du tust es aber doch gerade!“

„Jetzt schrei nicht so! Wenn du schreist, quietschst du immer.“

„Ach, jetzt bin ich es wohl selber, oder was?“

„Nein, nur, wenn du schreist.“

„Hör auf, zu brummen!“

„Wieso brummen?“

„Du gehst immer weiter runter mit der Stimme. Das machst du immer, wenn ich mich             aufrege. Und dann rege ich mich noch mehr auf.“

„Ach, das passiert wohl automatisch, als Gegenpol zu deinem Gequietsche.“

„Jetzt behaupte nicht dauernd, dass ich quietsche!“

„Okay, dann fiepst du eben.“

„Nein!“

„Weißt du, was ich glaube? Dein Tinnitus will raus. Und dann bringt er dich dazu, dich             aufzuregen, damit der sich mal so richtig austoben kann und – ej! Was kann das             Kissen dafür?“

 

© Ute Almoneit

schreibt, spricht, zirpt und brummt 

www.ute-almoneit.de 

 

 

 

Ein herrlicher Frühlingstag!

Die Sonne scheint, die ersten Frühlingblumen sind in voller Blüte – so kann ich fast diese schwierige Coronazeit mit den vielen Einschränkungen vergessen.

Ich nehme mein Sitzkissen, meine Tasse Kaffee und setze mich in den Garten, um den Geräuschen um mich herum zu lauschen und nachzuspüren.

Der Platz ist gut gewählt, die Sonne scheint und wärmt auch schon, aber dennoch ist da ein kühler Unterton in der Luft.

Ich schließe die Augen und lausche den Geräuschen. Zunächst ist gar nichts zu hören, wieder nur das Rauschen des Blutes in den Ohren wie gestern schon im geschlossenen Raum.

Nach und nach nehme ich Geräusche wahr. Hinter mir summt eine Biene. Eine Meise zwitschert. Wind kommt auf. Ich höre, wie er weht. Er streicht mir übers Gesicht und zerzaust mir die Haare. Hinter mir auf der Straße fährt ein Auto vorbei. Kommt es von rechts? Kommt es von links? Ich kann es nicht unterscheiden. In der Ferne wird gehämmert und geklopft. Immer mehr Vögel fangen an zu singen. Ein kleines Konzert von vielen Vogelstimmen. Meisen, Amseln, Rotkehlchen und Spatzen. Auch das Krächzen vom Eichelhäher ist zu hören.

Die Nachbarin zur Linken öffnet die Küchentür. Ich höre Geschirr klappern. Sie stellt etwas auf den Terrassentisch. Entfernt höre ich ihre Stimme. Ich kann aber nicht verstehen, was sie sagt.

Nun fangen Tauben an zu gurren, erst von links, dann wird von rechts geantwortet. Ruckediguh….

Gerüche kann ich nicht wahrnehmen. Zwar bin ich umgeben von Traubenhyazinthen, Leberblümchen, Narzissen und Veilchen, sogar einige Tulpen sind zu sehen, aber sie duften nicht.

Auf dem weichen warmen Polster fühle ich mich wohl, das Kissen im Rücken schützt mich vor dem kalten Wind. Ich habe mir die Kapuze über den Kopf gezogen, weil es doch etwas zieht.

Mir wird kalt und ich öffne die Augen, freue mich an der bunten Blütenpracht.

Diese zehn Minuten waren wie eine Andacht für mich. Nun bin ich gewappnet, mich wieder vorsichtig der Wirklichkeit zuzuwenden.

 

©Karin Burmeister

 


Impuls 3: Das nachfolgende Gedicht mehrfach laut lesen und dann dazu schreiben

 

A Clear Midnight Walt Whitman/Übersetzung Franz Blei 1914


Eine lichte Mitternacht

 

Dies ist deine Stunde, o Seele,

dein freier Flug ins Wortlose,

weg von Büchern, weg von Künsten, nach getilgtem Tag,

nach getaner Arbeit,

dich ganz und weitfort hebend, schweigend, staunend, sinnend

über das, was du am meisten liebtest:

Nacht, Schlaf, und die Sterne.

 

A Clear Midnight  Walt Whitman 

 

THIS is thy hour O Soul, thy free flight into the wordless,

Away from books, away from art, the day erased, the lesson done,

Thee fully forth emerging, silent, gazing, pondering the themes thou

lovest best.

Night, sleep, and the stars.

 

Dazu entstanden:

Ein sonniger Frühlingsmorgen

 

Dies ist nicht deine Stunde, oh Freiheit.

Gebremst wird dein freier Flug über die Frühlingswiese.

Eingesperrt bist du. Weg von Freunden,

Geselligkeiten, Eisdielen.

Niedergestreckt durch ein Virus

schaust du schweigend, staunend, sinnend

auf die Menschen, die du so sehr liebst.

Einsam und traurig sitzen sie in ihren Gefängnissen.

Freiheit wurde abbestellt.

 

© Ursula Havig  

Nachbarinnen

 

Auf dem Holztisch im Wohnzimmer liegt er, der Corona-Stapel. Ich sammle Artikel, Ausschnitte, Postkarten, Tipps und Infos. Berichte von Fachleuten und von Menschen und ihren Beschäftigungen zu Hause. Die Seele am Laufen halten.

Der Artikel eines Ökonomie-Professors liegt auch im Stapel. Den lasse ich einmal außen vor. Kommt noch an die Reihe, die Wirtschaft ist ein dickes Standbein.

Jetzt steht die Seele mit ihrer Widerstandskraft vorne. Von unserer Generation wird gerade erwartet, dass wir auf dem Sofa bleiben, sagt ein Arzt und Wissenschaftsjournalist in einem Interview*, er finde das zumutbar. Ich auch.

 

Bei einer Nachbarin ist der Ehemann gestorben. Nicht an Covid 19. Nein, an anderen Krankheiten aufgrund seines hohen Alters. Sozusagen auf natürlichem Wege. Ist die Coronakrise kein natürlicher Weg? Ich sitze am Tisch und krame in meinem Stapel. Epidemien und Pandemien kommen vor. Aber mit dieser Wucht? Mit fehlt das Vorstellungsvermögen. Ich habe keine Vergleiche. Der Arzt und Wissenschaftsjournalist sagt in dem Interview, dass die größte Gesundheitsgefahr die Klimakrise ist und bleibt. Schluss jetzt damit, die Gedanken werden düster. Die Seele am Laufen halten.

 

Die Nachbarin, die ich erwähnte, wohnt einige Häuser weiter und ist uns nicht besonders bekannt. Wie mag es in ihrer Seele gerade aussehen? Ich habe eine Kondolenzkarte geschrieben und ein Buch für sie eingepackt. Ich stehe mit Abstand vor ihrer Haustür und klingele. Es dauert eine Weile bis sie öffnet. Sie wirkt auf mich gefasst.

Sie durfte ihren Mann nicht mehr im Krankenhaus besuchen und müsste sich jetzt erst einmal sortieren. Über das Geschenk freut sie sich. Das zeigt ihr Lächeln.

„Andere Frauen haben sich auch an das Alleinsein gewöhnt“, sagt sie noch bevor ich gehe. Ich bewundere ihre Ruhe und die nüchterne Erkenntnis.

 

Ihre Seele hat jetzt zu tun, sie fliegt ihrem Menschen hinterher und verliert ihn nicht aus den Augen. Etwas außer Atem ist sie dabei schon, die Seele. Der Mensch muss die Seele dauernd im Auge behalten, damit sie wieder bei ihm ankommen kann. Langsam gehe ich nach Hause. Der Besuch und das Bild von der beschäftigten Seele geben mir Zuversicht.

 

Zu Hause angekommen, beginne ich zu kochen. Stopp, zuerst Händewaschen.

Beim Kochen schalte ich diesmal das Radio nicht an. Ich sehe in meinem Vorgarten die Vögel. Sie tragen ihre Seele bestimmt häufiger bei sich als wir Menschen. Im Großen und Ganzen wenigstens möchte ich mir vorstellen. Lassen wir die Klimakrise einmal beiseite.

 

Meine Nachbarin gegenüber hat gestern Fenster geputzt. Ich winkte ihr hinüber und wir sprachen von Fenster zu Balkon.

„Für mich ich das eine Strafe, immer nur Zuhause hocken. Hoffentlich dauert es nicht so lange“, rief sie. Sie ist oft unterwegs. „Entspannt einkaufen gehen ist leider zurzeit auch nicht möglich, wir brauchen Geduld“, antworte ich ihr. „Ich gehe jetzt auf den Wochenmarkt“, sage ich noch und schließe die Balkontür.

 

Eine andere Nachbarin ist kaum zu Hause, sie ist im Krankenhaus in vollem Einsatz. An der Virusfront könnte man sagen. Die Seele fragt nicht nach, sondern zieht mit. Das Sofa dieser Nachbarin ist für einige Zeit verwaist.

 

Am Abend lege ich mich mit einer fröhlich gestimmten Seele auf unser Sofa und lasse mir über das Radio den Roman Jane Eyre von Emily Brontë vorlesen. Ein regionaler Sender hat sein Programm dem Virus angepasst. Zuhause bleiben ist das Gebot, draußen tobt der Kampf gegen etwas Unsichtbares. Dabei wird es mir zeitweilen mulmig zumute. Die Lesestunde im Radio vertreibt solche Gedanken.

Später werde ich in den Sternenhimmel blicken, der jetzt klarer ist denn je. Die Seele sucht die Nacht und den Schlaf. Morgen beginnt ein neuer Tag. Den Geruch des frischen Kaffees habe ich bereits in der Nase.

 

© Sabine van de Sandt

 

 

Freier Flug

 

Wie tröstlich

sich selbst zu erlauben

frei zu fliegen,

wie ein Vogel

nach getaner Arbeit

 

Will mich weit fortbewegen

Später, viel später,

zurückkehren

nur zulassen

denn nur von hier aus

kann ich träumen

von

Nacht, Schlaf und den Sterne

 

 

@Käthi Schneider


Impuls 1: Schreib zu dem Straßenkreidemalereibild von David Zinn und dem nachfolgenden Satz märchenhaft oder fantasyartig (natürlich ist auch jedes andere Genre „erlaubt“)

 

„Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis! Mach deine Ohren auf!“

Dazu Entstanden:

Grünling

 

Du süßer kleiner Grünling!

Verlorene Grasbüschel krönen Dein Haupt.

   

Unkraut wird zum Jubelschrei,

Pflastersteine applaudieren eins, zwei, drei.

 

Grün, die Farbe der Natur,

von Trübsal keine Spur.

 

Du süßer kleiner Grünling!

 

Ein Lichtblick auf dem Boden,

Hoffnung, so für Jedermann.

 

Ein Lächeln zauberst Du ins Gesicht,

vorbeigehen, das klappt bei Dir nicht.

 

Du süßer kleiner Grünling!

 

© Birgit Gewiss 

 

 

„Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis! Mache deine Ohren auf!“

 Lange habe ich in der dunklen nassen Erde gelebt. Ich wollte immer das Licht sehen. Da oben, ganz oben sah ich einen winzigen Lichtschimmer. Ich träumte davon, hinaufzusteigen. Ich stellte es mir himmlisch vor, im Licht zu leben. Der Maulwurf, der neben mir wohnte, konnte meine Sehnsucht nicht verstehen. Unermüdlich baute er an seinen langen, feuchten Gängen. „Was willst du dort oben?“ fragte er nuschelnd mit seinem Maul voller Erde. Der Maulwurf machte seinem Namen wirklich Ehre. Wenn er sein Maul so richtig vollgenommen hatte, warf er mit seiner Schaufel die Erde nach oben. Aber wo blieb dieser Erdhügel? War es vielleicht möglich, an das Licht dort oben zu kommen? Ich war schon ganz schön gewachsen in der fetten Erde. Ein rundes Büschel hartes Gras war ich geworden. Etwas Sonnenlicht schien tatsächlich bis in diese unterirdische Dunkelheit zu kommen, sonst könnte ich ja nicht wachsen und auch noch grüne Halme hervorbringen. Verträumt sah ich dem Maulwurf bei seiner Arbeit zu. Ich musste herausfinden, wo die vielen Maulwurfshaufen blieben. Ich beobachtete, wie der Maulwurf Erde für einen neuen Gang aushob. Vorsichtig versteckte ich mich in dem Erdhaufen, den er schon ausgehoben hatte. Und als der Maulwurf mit seiner breiten Schaufel den Erdklumpen hoch katapultierte, landete ich mitsamt der Erde oben auf der Wiese.

Was für eine Offenbarung. Ich sah das saftig grüne Gras, bunte Blumen und den blauen Himmel. Und die Sonne, deren Licht mich anfangs blendete. Aber etwas engte mich ein. Ich saß in einer schmalen Ritze zwischen zwei großen Steinplatten. Aber ich hatte Zeit. Ich konnte wachsen. Sonne und Regen würden mir dabei helfen. Und wenn ich stark genug wäre, könnte ich die Steinplatten sprengen. Ob der Maulwurf mir wohl dabei helfen würde?

 

 © Ulla Havig  

Geheimnis des grünen Männleins

 

  Unkraut in der Plattenritze,

Regt mich an zu einer Skizze.

Grüne Kreide, eins, zwei, drei,

Lustig Männlein komm‘ herbei!

Große Ohren, Knollennas‘.

Auf dem Kopf ein Büschel Gras.

 

  Gar nicht lange nachgedacht.

Ist das Kunstwerk keine Pracht?

Auch die Haare wachsen weiter.

Brauch zum Gießen keine Leiter.

Mit der Schere ganz fein sacht,

Die Frisur in Form gebracht.

 

  Grünes Männchen, weißt du schon,

Was bedeutet dieser Ton?

Dein Geheimnis gebe preis

Damit es bald ein jeder weiß,

Spitz die Ohren, schau hinaus

Sieh‘, wer kommt dort aus dem Haus?

 

  Frühling ist  zu uns gekommen

Blumen haben es vernommen,

Veilchen, Tulpen und Narzissen

Wollen es als erste wissen.

Und  der Vögel große Schar

Bringt uns laut ein Ständchen dar.

 

© Lothar Lax 

 

 

Das kahlköpfige Kerlchen

 

Ich hatte ihn gerade fertig gezeichnet, da erhob er sich plötzlich und lief davon. Ich starrte ihm mit offenem Mund nach, die grüne Kreide noch in den Fingern. Er war schnell. Und er hatte.... seine Haare liegen gelassen! Das Grasbüschel zwischen zwei Gehwegplatten, das ich ihm als Frisur zugedacht hatte, war noch an seinem Platz. Das Kerlchen war kahlköpfig! Und es rannte wie der Teufel. Zum Glück hatte es kurze Beine. Es war ja auch nur so groß wie meine Hand.

„Hey!“ rief ich, als ich mich wieder gefangen hatte. Das Kerlchen sah sich kurz um und wetzte dann weiter, als ob ihm die Pest auf den Fersen wäre.

„Hey, Kerlchen! Wo willst du hin?“ Ich erhob mich und ging ihm nach. Mit wenigen Schritten war ich bei ihm und stellte mich ihm in den Weg. Es blieb stehen, sein Atem ging schnell, empört schaute es zu mir hoch.

Ich ging in die Hocke. „Wo willst du denn hin?“ fragte ich sanft.

Es drehte sich auf seinen kleinen Füßen um und lief in die entgegengesetzte Richtung.

Ich schüttelte den Kopf, stand auf, ging drei Schritte und schnappte mir den zappelnden Kerl. Ich drehte ihn zu mir um und schaute in sein wütendes kleines Gesicht.

„Hey, du kleiner grüner Kerl! Du hast deine Frisur dahinten liegen gelassen, als du losgerannt bist.“

„Ich hab keine Frisur!“ grunzte der Kleine empört, und ich hätte ihn vor Schreck beinahe fallen gelassen.

„Doch“, sagte ich bestimmt. „Das Grasbüschel zwischen den Gehwegplatten war deine Frisur.“

„Ein Grasbüschel? Ich trage doch kein Gras auf dem Kopf! Wie sähe ich denn damit aus?“

„Ich finde, das Gras stand dir sehr gut.“

„Ich habe nie Haare gehabt, ich brauche auch keine.“

„`Nie´ ist gut. Du bist ja erst vor ein paar Minuten entstanden.“

„Nein! Ich bin schon uralt.“

„Aber ich habe dich eben erst gemalt!“

„Gemalt?! Was meinst du damit?“

„Ich habe dich eben da vorne auf den Gehweg gemalt. Da, wo die Kreidestücke liegen. Und dieses Grasbüschel da sollte deine Frisur sein.“

„Aber da ist doch nichts! Außer dem Grasbüschel.“

„Du bist ja auch weggelaufen. Also kannst du ja nicht mehr da auf dem Gehweg sein.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Ich auch nicht.“

„Du auch nicht?“

„Nein. Verrätst du mir denn deinen Namen?“

„Meinen Namen nicht. Aber ich verrate dir jetzt ein Geheimnis. Mach deine Ohren auf!“

„Oh, da bin ich aber gespannt!“

Ich setzte ihn auf meine rechte Schulter, und es kitzelte an meinem Ohr, als er zu erzählen begann.

 

© Ute Almoneit

schreibt, spricht, zirpt und brummt 

www.ute-almoneit.de 

 

 

Höhlenmaler

 

Mein Vater war Maler, ohne Zweifel ein großer Künstler.

Auf einer Felswand in unserer Höhle hat er mich verewigt. Ich war von allen Kindern, die er gezeugt hat, sein Liebling.

Wenn andere noch auf allen Vieren über den Boden krabbelten, bemühte ich mich um eine aufrechte Haltung. Das erweiterte meinen Horizont beträchtlich. Dadurch wuchs auch mein Gehirn schneller, als allgemein üblich.

Ich stellte fest, dass meine Angehörigen hauptsächlich die Gebärdensprache zur Verständigung nutzten, bereichert mit Vokalen wie: Aua für Schmerzen, ei ei bei Austausch von Zärtlichkeiten, a a bei körperlichen Entleerung.

Ich ergänzte die Aussprache noch mit Konsonanten, sodass sie dadurch viel aussagekräftiger und farbiger wurde.

Wenn Sippenangehörige uns besuchten, zeigte mein Vater voller Stolz auf mein Porträt.

Nun kann man über Kunst trefflich streiten.

Die Einen, die das Werk meines Vaters bewunderten, brachten das mit einem langgezogenen „Wauau“ zum Ausdruck.

Andere krümmten sich vor Lachen und schrien „Hi hi“, was meinen Vater veranlasste, sie aus unserer Höhle zu werfen.

Alles das geschah im Jahre 12739 vor Christi Geburt, den zu meiner Zeit noch niemand kannte.

 

© Franz Köhler

 

 

Im Elfenland

 

Los, nun mach schon! Zeichne schnell meinen Fuß zu Ende, damit ich endlich loslaufen kann! Es fehlt nur noch ein Zeh…

Meine Freunde warten schon auf mich. Ich will ihnen unbedingt meine schicke neue Frisur zeigen. So etwas Schönes, Strubbeliges haben sie sicherlich noch nie gesehen. Damit falle ich auf unter den Trollen. Ich will in unser Versteck in den Bergen rennen. Auf die karge Hochebene, wo wir in unseren Höhlen und Verstecken unser heimliches Leben leben.

Ich bin ein grüner Troll, habe noch keinen Bart wie die anderen. Gerade erst wurde ich erschaffen. Meine Freunde sind grau, bräunlich, knorrig mit wilden Bärten, langen Nasen und dickem Bauch.

Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis: wenn du still bist, kannst du unsere Musik hören und uns tanzen sehen. Wir leben unsichtbar für Menschen im Elfenland, dort, wo die vielen kleinen Steinhaufen sind. Überall liegen hier Trollbrote herum, die zerklüfteten Felsen und Steine in der bizarren Vulkanlandschaft.

Manchmal, in stiller Nacht, kannst du uns wispern hören. Wenn du Glück hast, kannst du uns tanzen sehen. Wenn Nebelschwaden über die graue steinige Ebene ziehen, der Mond hinter den Wolken hervorguckt, die Bäume sich im fahlen Mondlicht ducken, dann tanzen wir unseren Reigen. Du kannst die Musik hören. Es tuschelt und raschelt und knistert und knackt. Mach deine Ohren auf, dann kannst du uns hören. Mach deine Augen auf, dann kannst du uns tanzen sehen.

Harfen zirpen leise im Wind, Geigen schluchzen, dann wieder schlägt die Trommel und Posaunen spielen zum Tanz auf.

Elfen in hellblau, rosa, goldglänzend in Seide und Organza gehüllt, durchscheinend und schimmernd. Die Elfen wirbeln herum, drehen sich zur Musik, die Gewänder wehen im Wind, wie kleine Wolken, ein bunt wogendes Elfenmeer.

Halt, da ein Knacken im Unterholz. Der Spuk ist vorüber als sei nichts gewesen. Das Troll- und Elfenvolk ist verschwunden.

Ich hab’s dir ja gesagt: Ein falscher Schritt, ein unachtsamer Laut – dann verschwinden wir und du wirst uns nie wiedersehen. Sei achtsam, still und zugewandt, dann kannst du unser geheimnisvolles Tun wahrnehmen.

 

© Karin Burmeister

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Kommentare: 2
  • #1

    Birgit Katzek (Sonntag, 12 April 2020 19:11)

    Wunderschöne Texte, gerade in Zeiten von Corona eine schöne positive Aufheiterung. Die Texte wirken auf mich wie eine kleine Seelenreise in unruhigen Zeiten. Meine Schwester Sabine van de Sandt schickte mir den Link. Bitte weiter so ...�

  • #2

    Sabine van de Sandt (Montag, 13 April 2020 20:23)

    Das Gedicht "Ein sonniger Frühlingsmorgen" beschreibt unser aller Situation. Die Stimmung in dem Gedicht kennen jetzt viele von uns. Eine gemeinsame Erfahrung fehlender Freiheit. Das kommt bei mir gut an. Das Gedicht ist melancholisch, aber auch tröstlich, sehr stimmungsvoll.